Reinhold Frank (1918-2001)
Es trippelt und stolpert bei Schnee und Wind
auf sibirischen Wegen ein deutsches Kind.
Die Eltern, die nahm man ihm weg mit Gewalt,
und Oma liegt krank, und der Ofen ist kalt.
Drei Tage kein Brot mehr im ganzen Haus –
da trieb es der Hunger zum Betteln hinaus.
Fremd ist ihm die Sprache im weltfremden Ort,
es kennt nur ein einziges russisches Wort:
Statt „Brot“ sagt’s jetzt „Chleb“, und sein Händchen streckt’s vor,
steht frierend vergebens vor manch fremdem Tor.
Man stößt es und jagt es mit Drohungen fort:
„Verschwinde, Verfluchter, zieh weg aus dem Ort!“
Ihm schwindelt vor Hunger, die Kraft geht ihm aus,
der Abendwind schiebt es zum Dorfe hinaus.
Die Nacht ist so dunkel und frostig der Wind,
sibirische Straßen gefahrenreich sind.
Der Sturm rast vorüber. Die Wolken zieh’n ab.
Am Wegrand erstarrt liegt ein Kind ohne Grab,
sein flehendes Händchen zum Himmel gereckt,
von schneeweißem Leichentuch gnädig bedeckt.